Albert mit den großen Augen

Albert hatte sehr, sehr große Augen.
Sie bedeckten die Hälfte seines Gesichts, sodass er kaum eine Nase hatte,
dafür aber ein lang gezogenes, schmales Kinn unter einem ballonförmigen Oberkopf.
Er hätte lieber große Ohren, sodass er flöge, hoch oben über dem Boden!
Doch Albert hatte Augen in der Größe von Melonen.

Albert kannte viele Geschichten.
Zum Beispiel die eine über Pandaros. Oder Panthoos. Bei Ovid Polyphemos genannt, in anderen Quellen: Mjump.
Er war der Sohn des Hermes und von Penelope – oder der Tochter des Dryops, oder des Zeus und der Hybris, oder verschiedener anderer Eltern.
Entweder wurden ihm die Augen ausgestochen oder er blendete sich selbst, auf jeden Fall aber mit einer Nadel.
Oder einem Speer.
Oder jedenfalls mit einem spitzen Gegenstand.

Diese war seine Lieblingsgeschichte, denn Albert mochte seine Augen nicht.
Entweder wurde er ausgelacht oder angefeindet, im mindesten aber erregte er Aufmerksamkeit.
Das wusste er schon, deswegen ging Albert gar nicht erst raus. Was sollte er denn da, wo er sich schonmal wehgetan, nein, sicherer wars im Haus zu bleiben und weiter leise vor sich hin zu keimen, als sein Leben zu versauen im Eifer, sich zu beweisen.
Albert blieb drinnen allein: Das sollte ihm sinnvoll erscheinen.

Albert sah.
Er putzte seine Fenster, jeden Morgen tat er das, um besser sehen zu können. Albert mochte keine Schlieren über der Welt, keine Flecken auf seiner Realität. Albert mochte das quietschende Geräusch des Lappens auf der Scheibe.
Albert rief:
Wer macht mir diese Augen, warum hab ich solche Augen! Warum hat Gott mir solche Augen! So fragte der, und Gott antwortete:
Nicht.
Und Albert schrie, warum ich!
Er schrie,
doch wir werden nicht schreien, denn wohl empfinden wir Empathie, doch keine von uns hat eine 30 Quadratzentimeter große Augenpartie.
Albert aber schrie: Warum nicht er! Oder sie, und Albert zeigte dabei auf verschiedene Leute, die auf der Straße gingen, die auf dem Gehweg standen, die Albert durch das polierte Fenster sehen konnte.

Albert hatte auch Stoppersocken, doch von den Stoppersocken waren die Stopper ab und ohne Stopper waren die Stoppersocken plötzlich! Rutschesocken und Albert fiel, aufs Auge, wohin denn sonst.
Und er steht auf und er sieht, plötzlich, sieht was passieren wird! Sieht die Nadel, oder den Speer, oder einen anderen spitzen Gegenstand da liegen, aber sieht auch darüber hinaus, sieht sich danach greifen, und er kann die Zukunft nicht von sich weisen, oder doch?  
Wenn er tut, von dem er weiß, dass er das tut, weil er das sieht, kann er das verneinen, sich anders entscheiden, gibt es die Entscheidung dann noch?
Was wenn er es verbockt, er seine einzige Chance verzockt?
Was wenn sein Erscheinen die Leute schockt?
Er würde ja doch nur Albert bleiben, anstatt sich zu einfach zu befreien, so wie er sichs erhofft.

Albert – es ist doch egal! Albert, sieh doch, sieh hin, du hast überhaupt keine Wahl!
Und jetzt schreien wir ja doch. Und Albert sieht, dergestalt, dass das jetzt vorbestimmt ist.
Albert weiß nicht wie, aber er sieht: Vorbestimmt. Nicht dass es ihm jemand erzählt hätte, denn Albert sprach mit niemandem!
Sieh mal hin: Vorbestimmt, aber nicht von Gott, der ihm nichts erzählt. Albert sieht, und Albert vertraut seinen Augen.

Er staunt über seinen Glauben, dass er das glaubt was er da sieht, obwohl er seine Augen so wenig liebt, und Albert weiß nicht was er will, denn wenn es so sein sollte! Dann war es vielleicht auch zufällig genau das, was er eigentlich wollte.
Ja, das denkt Albert, dass er glaubt was er sieht, und er greift jetzt nach der Nadel, oder dem Speer, auf jeden Fall aber nach dem spitzen Gegenstand, der da liegt, und Albert piekst – mit der Nadel, mit dem Speer, mit einem spitzen Gegenstand, Achtung bitte!
Alles ist leise.
In die exakte Mitte
der Fensterscheibe, ein fürchterliches, ein quietschendes Geräusch macht der Albert da!

Und tada:
Er lachte laut
und stieg hinaus
und fiel
aufs Auge, wohin denn sonst.